Oscar Wilde Blog

by Jörg W. Rademacher

Ein Kalender im Werden 2023

Obwohl Angebot, Verkauf und Versand des laufenden Kalenders beim Zusammenstellen dieser Überlegungen erst Wochen her sind, finde ich, dieses Projekt hat einen weiteren Schritt getan, denn nun ist endlich ein Gleichgewicht von Wort und Bild gefunden, und Günter Plessow ist der Vers-Übersetzer, während ich zwei von Egon Günthers Gedichten ins Englische übersetzt habe nebst Auswahl, Arrangement und dieses Mal knapper Kommentierung der Gedichte. Wer mag, sieht sich die Geschichte der Oscar-Wilde-Kalender, vertreten durch die Cover, auf meiner Webseite an: oscar-wilde-blog.de.
Tatsächlich steht nur dank Günter Plessows Fleiß beim Übersetzen der von ihm “Lyrische Notizen” genannten Gedichte ins Deutsche im Jahr 2021 eine nicht unbeträchtliche Auswahl von Wilde-Poemen aus den 1870er bis 1890er Jahren, inklusive “Die Sphinx” und “Die Ballade vom Zuchthaus Reading”, für die Wiederveröffentlichung in diesem Kalenderprojekt zur Verfügung. Auch deshalb ist dieser Oscar-Wilde-Kalender verglichen mit früheren Ausgaben auf Poesie einerseits und auf englische wie deutsche Verse andererseits konzentriert. Zug um Zug die hier gewählten Poeme ansprechend, füge ich hier auch Miniaturen der Collagen ein, um den kompletten Kalender Revue passieren zu lassen.

Januar

Oscar Wilde
Ravenna


Vor einem Jahr sog ich Italiens Hauch,
Doch, nordischer Frühling, du bist lieblich auch.
Das Feld von jungen Blumen goldig blinkt,
Im zarten Lärchenbaum die Drossel singt;
Saatkrähen, wilde Tauben flattern hin,
Am Himmel kleine Wolken eilig ziehn,
Das Veilchen senkt des Hauptes zarte Last,
Die Primel ist vor Liebesgram erblaßt,
Die Rosen sprießen auf dem Kletterstamme,
Ein Mond, erfüllt von einer Feuerflamme ‒
Das Krokusbett – das purpurrote Blüten
Im Kreise wie ein Ehering behüten,
Und alle Blumen, die der Frühling kennt
Bei uns in England und sie zärtlich nennt:
Schneeglöckchen, die so rein zu atmen wissen,
Und ihr bestirnte, glänzende Narzissen.

“Ravenna”, in: Oscar Wilde, Gedichte, herausgegeben von Norbert Kohl, Frankfurt am Main: Insel 1992 (1982), S. 11-25; hier S. 13; übersetzt von Otto Hauser (1876-1944).

Nur separat 1878 publiziert und erst seit 1908 gemeinsam mit Wildes Lyrik anthologisiert, ist “Ravenna” ein Preisgedicht, das ihm den Newdigate-Preis einbrachte das am 26. Juni 1878 in Teilen im Sheldonian Theatre Oxford von Wilde rezitiert wurde und das einer Dame gewidmet ist, die Wilde im Frühjahr 1877 in Rom traf: Julia Constance Fletcher (1858-1938). Diese publiziert unter Pseudonym Romane, darunter Mirage (1877), darin Wilde als Mr. Davenant porträtiert ist (Oscar Wilde, Poems and Poems in Prose, S. 247/248).

Februar

Maria Eger in memoriam
Erste & bleibende Eindrücke


Ich weiß nicht genau doch denke es war ihr gutturales Lachen vor
den ersten Worten die sie je zu mir sagte oder dem AB
das eine Art von Sich-mögen herstellte als sie sagte sie habe
meine Nummer von den Joyce-Zentrum Zürich-Leuten.

Damals noch in Münster Westfalen lebend mit rotem Wählscheibenfon
mußte ich geholt werden aus dem Arbeitszimmer zur belebten Vorstadtstraße
um ihr zu sagen sie suche nach dem Joyce Book mit 13 Poemen
das nach Pomes Penyeach komponiert und Joyce zum 50.

im Jahr 1932 geschenkt worden war und im Zürcher Archiv liege
was sie wieder zum Lachen brachte denn Fritz Senn zufolge
solle sie wegen Musik Rademacher Radmachrees aus Finnegans Wake
fragen nicht ihn den Unmusikalischen also schickte der erste Anruf

sie zurück wo sie schon einmal war doch sie nahm es mit Humor
blieb auch in Verbindung die nächsten 21 Jahre bat mich sogar
im Januar 2021 zum 80. Todestag von Joyce zu sprechen eine Rede
deren Manuskript ich nie beendete wegen des zweiten Bundes-Lockdowns.

Sie verlor nicht die Hoffnung ermutigte literarisch-musikalische Talente
aller Art lud ein nach Nürnberg wer immer geschrieben geformt komponiert
und gemalt gezeichnet hatte was von Bedeutung war organisierte Symposia
brachte Freunde zusammen über den kulturellen Graben hinweg von

Ost & West und Nord & Süd zahlte aus eigener Tasche unhöfliche Schauspieler
wie auch dankbare junge Pianisten frustrierte Journalisten aufstrebende
Lehrer während sie selbst Legionen begeisterter Leser von Joyce &
anderen schwierigen Schreibern lenkte nie verlegen um noch ein interessantes Projekt.

Bis eines Tages letzten Sommer oder noch zuvor war es das letzte Mal
da sie auf meinen AB sprach oder ich es nicht mehr wagte anzurufen zu fragen
ob sie den neuen Kalender gern hätte dessen letzte Ausgabe ich in ihrem Namen
an Freunde verschickt hatte dann Warten auf den Eintritt des Unvermeidlichen

und ihr bayrischer Tonfall nun auch Teil würde “all der toten Stimmen” sich
versammelnd in meiner Gedankenkammer wie Bilder der teuren Toten
vor dem geistigen Auge bleiben nur zum Leben erwachen bei Anlässen
wie Träumen bei Nacht Totenwachen am Bett einer anderen Person.

JWR Leer, 4. März 2023

März

Maria Eger in memoriam
Erste & bleibende Eindrücke


Ich weiß nicht genau doch denke es war ihr gutturales Lachen vor
den ersten Worten die sie je zu mir sagte oder dem AB
das eine Art von Sich-mögen herstellte als sie sagte sie habe
meine Nummer von den Joyce-Zentrum Zürich-Leuten.

Damals noch in Münster Westfalen lebend mit rotem Wählscheibenfon
mußte ich geholt werden aus dem Arbeitszimmer zur belebten Vorstadtstraße
um ihr zu sagen sie suche nach dem Joyce Book mit 13 Poemen
das nach Pomes Penyeach komponiert und Joyce zum 50.

im Jahr 1932 geschenkt worden war und im Zürcher Archiv liege
was sie wieder zum Lachen brachte denn Fritz Senn zufolge
solle sie wegen Musik Rademacher Radmachrees aus Finnegans Wake
fragen nicht ihn den Unmusikalischen also schickte der erste Anruf

sie zurück wo sie schon einmal war doch sie nahm es mit Humor
blieb auch in Verbindung die nächsten 21 Jahre bat mich sogar
im Januar 2021 zum 80. Todestag von Joyce zu sprechen eine Rede
deren Manuskript ich nie beendete wegen des zweiten Bundes-Lockdowns.

Sie verlor nicht die Hoffnung ermutigte literarisch-musikalische Talente
aller Art lud ein nach Nürnberg wer immer geschrieben geformt komponiert
und gemalt gezeichnet hatte was von Bedeutung war organisierte Symposia
brachte Freunde zusammen über den kulturellen Graben hinweg von

Ost & West und Nord & Süd zahlte aus eigener Tasche unhöfliche Schauspieler
wie auch dankbare junge Pianisten frustrierte Journalisten aufstrebende
Lehrer während sie selbst Legionen begeisterter Leser von Joyce &
anderen schwierigen Schreibern lenkte nie verlegen um noch ein interessantes Projekt.

Bis eines Tages letzten Sommer oder noch zuvor war es das letzte Mal
da sie auf meinen AB sprach oder ich es nicht mehr wagte anzurufen zu fragen
ob sie den neuen Kalender gern hätte dessen letzte Ausgabe ich in ihrem Namen
an Freunde verschickt hatte dann Warten auf den Eintritt des Unvermeidlichen

und ihr bayrischer Tonfall nun auch Teil würde “all der toten Stimmen” sich
versammelnd in meiner Gedankenkammer wie Bilder der teuren Toten
vor dem geistigen Auge bleiben nur zum Leben erwachen bei Anlässen
wie Träumen bei Nacht Totenwachen am Bett einer anderen Person.

JWR Leer, 4. März 2023

April

Lucky you Lucky Luke

Unbekümmerter Blick aufs Leben
Glücklich dem GAU entronnen
Lucky an Pozzos Leine rennt auf die Bühne
in Warten auf Godot also wie ein Hund
noch ein Endspiel des Schweigens aus dem Jordan
der Rapper hervortritt der kaum lesen schreiben kann
passend auf der Bühne zu warten den kahlen Baum zu umrunden
während er zugleich ein lucky loser ist und unpassend für das
geschwätzige Wilde-Gerede aus Die Bedeutung Ernst zu sein
unfähig den lucky punch zu setzen
der not tut willst du gewinnen
stehst du einem Iren gegenüber.

JWR

Dem Titel “Oscar Wilde & Friends” gemäß treffen hier eine filmische Realisierung von Warten auf Godot, basierend auf dem wahren Vorfall in Schweden, als Häftlinge das Stück inszenierten und dann kurz vor der Premiere das Weite suchten, und die Assoziationen aufeinander, die ein Leben mit irischer Literatur und Theater auf französischen Bühnen auslösen kann. Nicht zuletzt klingt noch immer das telefonisch erlebte Erstaunen einer Pressedame an einem westfälischen Stadttheater nach, die hörbar ein- und ausatmete, als sie vernahm, Samuel Beckett sei Ire. Sie hatte schlicht und einfach noch nie darüber nachgedacht, wo er geboren und wie er geprägt worden war.

Mai

“Mr. Wilde, was halten Sie von Harrisburg,
gemessen an dem, was Sie kennen?”
“Nun ja, über einen Ort wie Ihre Stadt, von der ich
so wenig gesehen habe, sollte man nicht generalisieren.
Ich kam nachmittags an und war den Rest des Tages
mit Briefeschreiben befaßt, folglich kann ich keine
Meinung zur ‘Hauptstadt’ formulieren.
“Wie gefiel Ihnen Ihr Publikum heute Abend?”
“Ich hatte wirklich ein sehr reizendes Publikum
von vielleicht 150 oder 200 Personen. Sie waren recht
aufmerksam und zeigten mir den Respekt, den der
empfindsamste Vortragende wünschen kann. Natürlich
erwarte ich nicht von jedem Zustimmung zu dem,
was ich sage ‒”

Aus: “Oscar Wilde,” Harrisburg Telegraph (Harrisburg, PA), 5 May 1882, 4. In: Oscar Wilde. The Complete Interviews. Volume One, herausgegeben von Rob Marland, Jena: Little Eye, 2022, S. 380-384, hier: S. 380.

Leser Oscar Wildes von heute, die von den vielfältigen Gelegenheiten, als er einem amerikanischen Publikum während seiner Nordamerika- Tour 1882 direkt gegenüber stand, nichts wissen, könnten wohl von dem Nuklearvorfall auf Three Mile Island wissen, inzwischen geschlossen, am 28. März 1979, der weltweit Schlagzeilen machte, was für Wildes Vorlesung 97 Jahre früher nicht galt. Erst der Recherche von Oscar- WildeinAmerica-Blogger John Cooper ist die Entdeckung des Artikels mit Fragen und Antworten zu Harrisburg und dem Ereignis zu verdanken, der ein früheres Harrisburg auf die literarische Karte Amerikas brachte. Wilde ist höflich, wenn auch ausweichend, ein Diplomat, falls er respektvoll angesprochen wird. Doch weiß man nie, was er sagen wird, sollte er provoziert werden.

Juni

Juni-Schmerz

Anders als Tee zu trinken
eines der “einfachen Vergnügen”
ungeliebt von Lord Henry Wotton
kann ein Glas französischen Roten
in Paris zu trinken eine so kostspielige
wie schmerzhafte Erfahrung sein

die reale kündigt die imaginäre an
einen Moment auf der Terrasse
eines ostfriesischen Wasserschlosses
als der Aufstieg des Chefs des
Studienseminars zur außerplanmäßigen
Professur gefeiert wird

und die Fachfrau Französisch
in einem raren emotionalen Moment
sagt: “Ich kann nicht sehen Sie nicht
ich trage eine weiße Hose.”
Weiße Jeans also waren es auch in Paris
als ein reizbarer Neunundsechziger

auf Englisch funktioniert Achtundsechziger nicht
in der Arena von Lutetia aufsprang
der römischen Ruine im Pariser Zentrum
wo er eben ein Glas Roten auf die Hose
gegossen bekommen hatte von einem Studenten
der noch zu Hause und als Schüler

ganz impulsiv regelmäßig kalten Kakao
verschüttete wann immer er neben dem Vater saß
der nun des Dozenten Forderung nach
kompletter Kompensation erfüllen mußte
indem er einen Brief an die Versicherung
tippte und den Schaden meldete.

JWR

Paris ist ein Sehnsuchtsort nicht nur Wildes, sondern auch der Deutschen vor und nach 1968, eine Hauptstadtinsel in Frankreich, deren Kern die Île de la Cité ist, wo Notre-Dame de Paris wie auch das nach der Kathedrale im Jahr 1482 benannte Buch Victor Hugos ihren faktisch und romanhaft verbuchten Ort finden, erst recht nach dem Brand vom 15. und 16. April 2019.

Juli

Liebesklage

schwach schimmernde seide verhüllt
das standbild einer frau
die am waldrand nach ihren käuzchen ruft

wie der tau flüchtige zierde eines noch jungen tages
perlenfäden zieht an orten die ein düsteres verlangen
bewohnt
setzt deine durch salzkristalle gefilterte aura
dem dräuenden sturmdunkel helle sprenkel ein
im umschwung deiner launen
geraten klapprige tage ins straucheln
von geisterhand bewegte stöcke nehmen
artig eine neue partie karambolage in angriff
mit den haltlosen kugeln von universen
die es seit jeher gewohnt sind
sich dem gesetz des zufalls zu beugen
das ohne zweifel dein gesetz ist
dem du steuerst mit einem schmollen deiner
lippen
einer verstohlenen bewegung deiner hand
oder dem unkeuschen signal deiner brustspitzen
die eine ganze folge botanischer
entsprechungen kommandieren
sonnenwendige pflanzen
tanzen im gefiederten gleichmaß deines atems
du schwingst dein starkes szepter
selbst in jenen eisigen regionen die von allen
empfindungen
vor allem dem schmerz vorbehalten
ebenso wie über den endlosen weiten
die bereits in fäulnis übergegangen sind
zuweilen streust du blüten sand und eissplitter
in das getriebe der welt
doch wenn du voller übermut
eine abgehetzte mähre
die auf den namen freier wille hört
abermals über deren rand scheuchst
erinnere dich an den freudlosen clown deiner träume
jenen troubadour
den du einst in ketten geschlagen
auf ihrer scheibe vergessen hast

Egon Günther

Wilde schrieb viel über Liebe und Geliebte. Tatsächlich variierte er das Thema in allen Genres. In seinem Werk steckt auch viel Liebesmüh, da er im Gegensatz zu dem, was er die Außenwelt in Oxford wissen ließ, hart arbeitete, um ein Kunstwerk zu vollenden oder eine Prüfung zu schaffen.

August

Ist das alles was wir können

statt alles für alle zu geben und mehr
rennt jeder für sich dem glück hinterher

furcht brennt im herzen schweiß im genick
das menschenleben ertragen als klassengeschick

verfolgt vom schatten nahender strafen
auf ziellosen fluchten verirrt wie entflohne sklaven

ist das alles was ihr kennt
habt ihr nicht mehr zu bieten?

geschöpfe geplagt von scham und not
streitbare diener ihrer herren gebot

ein dasein als knecht in des leviathans mühle
entgangene urlaubsfreude als schlimmstes der gefühle

gierige träume vom schlaraffenland
von süßem nichtstun am weißen strand

ist das alles was wir können
haben wir nicht mehr zu bieten?

Egon Günther

“An einem Tag mit Ostwind acht Stunden lang eine matschige Kreuzung zu fegen, das ist eine abscheuliche Beschäftigung. Sie mit geistiger, moralischer oder körperlicher Würde zu fegen, erscheint mir unmöglich. Sie mit Freude zu fegen, wäre entsetzlich. Der Mensch ist für Besseres geschaffen, als Schmutz aufzuwirbeln. All diese Arbeit sollten Maschinen leisten.” Oscar Wilde, Des Menschen Seele im Sozialismus, herausgegeben und übersetzt von JWR, Coesfeld: Elsinor, 2021, S. 36. Hier sind zwei Brüder im Geiste am Werk. Der eine beklagt den Mangel an Faulheit, der andere beklagt den Überfluß an Muße, was den Blick für das Wesentliche auch verstellt.

September

Über Nacht

über nacht
kam die alte welt abhanden
ich hab sie wohl im rausch verlegt

oder etwas böses kam daher
zerschlug die wahrheit & die dichtung
die scherben liegen ringsumher
der sonne kugel läuft verdreht
ganz gegen ihre eigne richtung

gestern lag im hof das kraut
noch hell & klar in ihrem licht

heute bleibt
bis neu der morgen lacht
verdunkelt mir die sicht

nach einer finstren nacht
ging die gewohnte welt verloren

wir haben sie mit schwung verlegt
ein rauer tag wurd uns geboren
laßt doch den augenblick
uns flugs am stirnhaar fassen
(aus fluch erwächst oft segen)
damit wir nicht die zeit verpassen
beim verweilen auf bösen wegen

sagt mir also schnell
bevor noch alles endet:
wer weiß denn guten rat
wer kennt den goldnen weg zurück
auf dem unser unheil sich wendet

sagt mir eiligst: wer in der tat
ist so gescheit & gut
wer findet den schlüssel zum glück
wer verleiht uns frischen mut

über nacht
kam uns (wer weiß wohin)
die alte welt abhanden
die zeit sprang aus den fugen

Egon Günther

Elegisch ist Oscar Wilde immer wieder, auch in seiner Poesie, schließlich mag er geahnt haben, auf welcher Rasierklinge er sein so privates wie dem Publikum zugewandtes, nicht zuletzt politisches Leben führte. Auf Warnungen zu hören, war jedoch nicht seine Stärke.

Oktober

Zu "Portia"

“An Ihrer Stelle hätte ich das Gedicht nicht gewählt.”
– “Doch dann wäre Wildes ‘Alltagsantisemitismus’
wie Sie ihn nennen oder sein konventionell christlicher
Antijudaismus nicht ans Tageslicht gelangt.”

Um so ein Gelegenheitsgedicht zu übersetzen
tut es not es in viel breiterem Kontext zu lesen
der weit hinaus reicht über die Grenzen von
Vers Rhythmus Metrum Reim von Semantik ganz
zu schweigen;

hinaus reicht zu Hintergründen ob religiös sozial
oder moralisch im London der 1870er und 1880er
gefaßt in Worte da Wilde Ellen Terry als Portia
auf der Bühne sah und bewunderte.

JWR

Gedichte lesen nicht alle. Über Gedichte lesen noch weniger. Erst recht wenige lesen oder gar kommentieren Gedichtübersetzungen. Dennoch sind diese Wenigen glücklicher als diejenigen, die Worte nicht goutieren, sondern fressen, weil sie nur dicke Bücher kennen. Wilde schrieb für sich, dann für wenige, erst recht, wann immer er Verse schuf. So beginnt und endet sein Leben als Literat mit Poesie. Wer ihn insgesamt schätzt, kann auch mit dem Makel seiner Fehler leben.

November

“Der Oscar Wilde, der sich in Amerika vor wenigen Jahren selbst berühmt machte, ist nicht der Oscar Wilde von heute. Das lange Haar ist ab und nun kurz und lockig. Die Kniebundhosen sind sorgfältig weggepackt, die lustlose Art ist abgelegt, und der Oscar Wilde von London heute ist als Kerl geradeaus, stark, breitschultrig, athletisch, ohne Nonsens im Ärmel und mit offenkundiger Entschlossenheit im Gesicht, Ruhm und Geld zu erwerben. Die Wilde-Manie, was England angeht, ist vorbei. Mr. Wilde wird das infrage stellen – doch gibt es Tausende Leute, Frauen und Männer, die glauben, Wilde habe bei seinem jüngsten Kreuzzug viel Gutes getan, und noch immer hat er eine respektable Gefolgschaft, doch kein Vergleich mit der, die uns die Lektüre von Gilberts Satire ‘Patience’ glauben machen sollte.”

 

Aus: “Oscar Wilde’s Hair Cut”, The Brooklyn Daily Eagle (Brooklyn, NY), 20 October 1889, 14. In: Oscar Wilde. The Complete Interviews. Volume Two, herausgegeben von Rob Marland, Jena: Little Eye, 2022, S. 589- 592, hier: S. 589.

Als Skizze eines Wandels im öffentlichen Image von Oscar Wilde aus der Ferne wurde dieser Artikel, erneut entdeckt ob der Recherchen von OscarWildeinAmerica-Blogger John Cooper, in vielen Gazetten nachgedruckt. So kann man etwa acht Monate vor der Publikation von The Picture of Dorian Gray durch Lippincott’s Monthly Magazine beiderseits des Atlantik am 20. Juni 1890 mit Sicherheit sagen, daß Wilde in den USA noch immer eine Nachricht wert war, wobei ein Blatt aus New York City voran ging.

Dezember

“8. VIII. 65

Merlin Holland, Enkel Oscar Wildes, ist eingetroffen. Er ähnelt René Crevel. Eine Irin aus Hampstead begleitet ihn, grünblaue Minervaaugen im Junogesicht, die Beine einer Wachspuppe. Sie hatten vor, nach Pampelune zu fahren, dort Esel zu kaufen, die Berge rittlings auf diesen Eseln zu queren, den Felsenkessel von Gavarnie [Pyrenäen] zu bewundern und sie in Saint-Jean- Pied-de-Port [Jakobsweg] zu verkaufen. Charles gab ihnen zu bedenken, daß in Frankreich heute niemand Esel kaufen würde. Daraufhin zogen sie zu Fuß los zu den Kalkplateaus im Massiv central, um, ohne Esel, die Travels with a donkey durchzuführen.”

Aus: Jean Hugo, Carnets. 1946-1984, Arles: Actes Sud, 1994, S. 230/231.

Dies ist die Art Tagebuch, die ein jeder hoch schätzen würde, der sich für das zumeist hinter den Kulissen geführte literarische Leben interessiert. Nicht nur trifft der Urenkel Victor Hugos den Enkel Oscar Wildes zu Hause in Südfrankreich. Auch ist es der bekannte Sohn Georges Victor-Hugos, des vernachlässigten Enkels des großen Schriftstellers, der Oscar Wilde tatsächlich bei einem Victor-Hugo-istdaheim- Abend in Paris 1883 getroffen hatte. Immer der Maler, setzt Jean Hugo die begleitende Dame statt des einzigen Enkels des irischen Schriftstellers ins Bild, der, später im Leben, viel tat, um das Gleichgewicht in der Erzählung von Wildes Leben wieder herzustellen.

Willkommen zum Leben des Oscar Wilde

Neuester Blog Eintrag

Wilde, Josefowitz, John Bercow

 

Dear readers of my blog,

today I am writing my new post on the eve of a trip to Marseilles. As some of you may know my bread-winning job is teaching modern languages at a Gymnasium in East Frisia, which is in the North-Western pocket of Germany just facing the Netherlands. So whenever we travel South, we start off at the North Sea and don't stop until we have reached the Mediterranean, covering about 1,600 km in the process and linking our school with three Lycées at Marseilles plus several others from Paris, Tournai, Vienna and one grammar school from Newcastle. This is the last pre-Brexit meeting of the organisation called Relai de la Mémoire Junior, originally founded in 1989 by survivors of the Shoah and former deportees and resistance fighters to keep alive the memory of the atrocities committed in the Second World War.

As it happens, both Oscar Wilde, the main topic of this blog and website, and Tanya Josefowitz, the Jewish lady I have been writing about lately in my posts, also pass on memories of traumatic experiences. And like John Bercow, the current very controversial Speaker of the House of Commons, Wilde and Josefowitz like to be witty, too.

 

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Tanya Josefowitz, "I Remember" read in terms of Oscar Wilde

7th March 2019

Dear readers of my blog,

while teaching writing various text types to my students – no matter whether in English, French, or German – I consider writing myself quite a challenge since it means to negotiate between what I regard as essential for adolescents who need to write for “marks” or “credits” and what I feel imperative to do once writing needs to pass the “reality test”. In writing a blog, I am glad to notice that not all bloggers keep addressing their audience throughout the entry, and that there are also quite sober ways of talking to the readers on the Internet.

Today I begin by publishing a poem based on a research into the words following that of “translator” in an English dictionary which I wrote when I was still recovering from two years of immersion into the world of Oscar Wilde. Here it is:

 

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Tanya Josefowitz, I Remember

 

Welcome to my blog,

Writing post-Holocaust remembrance day, after the 27th of January, that is, I only need to mention that this year, at Leer, the commemoration of the liberation of Auschwitz in 1945 was devoted to gay men whom the National-Socialists as of 1935 had totally criminalized. So Oscar Wilde’s predicament is present among us even if he died already in 1900. Having just completed the translation into English of biographical sketches of detainees held in Esterwegen and other Emsland Concentration and Convicts’ Camps between 1933 and 1945, I was reminded more than once of Oscar Wilde – in particular since the men detained for that reason were not prominent at. Unlike Wilde, or, the Winner of the Nobel Peace Prize in 1936, Carl von Ossietzky, they had no-one to “talk about them”. At the same time, Wilde’s prison writings are a constant reminder of what literature can do. It is in this vein that I want to introduce another book which has now arrived at the production stage.

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Classical Music as a peaceful political programme

Welcome to my blog,

little did I imagine before that without adding too many extra pages to my website that I would start, within a few months of beginning this adventure, to unfold many of my interests that I have only had the chance to develop in the criticism section of Irland Almanach. This was an annual I co-edited with four German friends which from 1999 through 2002 portrayed things Irish in German but which the publishers for lack of funds sadly discontinued after the fourth isssue entitled "The Celtic Tiger". One aspect we dealt with was music of all kinds, in my case classical music. So I had been looking forward to a concert at Leer, East Frisia, for some months in which Andrew Manze was to conduct the Radiophilharmonic Orchestra Hanover in a programme with Beethoven, Brahms, the violin concerto, and the Fifth Symphony in D-Major by Ralph Vaughan-Williams. I had hoped for a festival, and I was not deceived. However, in the context both of this blog and the current crisis in the British Isles the concert told me another story, too, which I'd like to unfold now if you care to follow me here.

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Third blog

Welcome to my blog,

it is not unusual for people interested in Oscar Wilde also to be fascinated by politics. Not least since it has become clear that he was more than intrigued by both the Parnell affairs and the movement towards Home Rule for Ireland. More than twenty years after the Belfast Agreement reached on Good Friday 1998, it is certainly clear to the Irish - not including a substantial faction in the North - that what was agreed on then was only possible within the European Union. These days, many commentators both sides of the Channel recall that in general they have always admired and loved the British excentricity while underestimating the problems underlying an inbred skepticism of Europe and the European Union and the very excentricity have always posed for those looking behind the scenes.

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Second blog after being online

 

Welcome to my blog,

today I am going to present you my impressions of a series of detective novels I read last year and of which I wrote four short reviews in German – as yet unpublished. Since all I do here somehow relates to Oscar Wilde, let me briefly state why I consider these books important. Like Wilde who was Irish and lived in England, looking at both countries with the eyes of an outsider, Benjamin Cors looks at France from outside since he lives in Germany and writes in German. It is through Wilde that I have become familiar with such an attitude which means that, superficially, there is a close assimilation to the host culture and language, while, subliminally, there are other currents as well. As a translator, I have become particularly aware of such undercurrents, and I want to point them out in review and other articles which I will insert into my blog at irregular intervals. Consequently, I am going to give them general titles as well as numbers.

 

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Wildes Hauptwerk

Alles über
"Das Bildnis des Dorian Gray"

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Über mich

Jörg W. Rademacher, Jahrgang 1962, geboren und aufgewachsen in Westfalen. Studium an den Universitäten Münster, Dundee und Lille. Staatsexamen 1988. Promotion 1993. Wissenschaftler, Sprachlehrer sowie Autor und Übersetzer bis 2002 in Münster. Seit 2002 Gymnasiallehrer, Autor und Übersetzer in Ostfriesland. Beschäftigung mit Oscar Wilde seit 1988. Veröffentlichungen zu Wilde seit 2000 als Biograph und Herausgeber beziehungsweise Übersetzer, regelmäßig im Elsinor Verlag seit 2012, seit 2015 auch Herausgeber und Übersetzer von Oscar-Wilde-Kalendern.

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