Blog Beitrag Januar 2025
Liebe Leser meines Blogs,
Diesen Post zunächst auf Englisch, dann auf Deutsch zu tippen, heißt die Produktion zu verlangsamen. Zugleich heißt es, mir sehr genau der Tatsache bewußt zu sein, zwischen zwei Sprachen plus der durch sie ausgedrückten Kulturen zu.
Ihnen allen alles Gute zum Neuen Jahr bei gräßlichen Aussichten für alle politisch denkenden Menschen, die in der Türkei, in Ungarn, in Rußland und in Israel mit Autokraten zu tun haben, die demokratischer Wahl zum Trotz in den letzten Jahren alles getan haben, um die Demokratie zu diskreditieren, während Mieter Nr. 47 im Weißen Haus in knapp unter drei Wochen noch dazu stößt.
Während Wilde der Fokus dieser Webseite bleibt, gelobe ich hiermit, besagten 47. Mieter in den kommenden Monaten und Jahren nicht zu nennen. Tatsächlich fällt es recht leicht zu beschreiben, was er sagt und tut, ohne ihn je namentlich zu erwähnen. Ja, das macht sogar Spaß!
Der Kalender wird dieses Jahr anders als zuvor online nicht komplett präsentiert. Alle Collagen werden zugänglich, doch nicht alle Texte zur Gänze. Wer also den Kalender mag und ihn in gedruckter Form haben möchte, sollte nicht zögern, um ihn durch mich zu bekommen.
Vor der Ankündigung von Plänen, die noch scheitern könnten, möchte ich Ihnen zunächst von Dingen erzählen, die bereits stattgefunden haben. Am 27. Dezember 2024 stöberte ich im Buchladen von Münster Westfalen Hauptbahnhof und fand einen einzigen Band von Susan Sontag, On Women [Abbildung 1]. Ich wußte, warum er mir ins Auge gefallen war, denn ich hatte nur wenige Tage zuvor eine Schülerin, die eine Arbeit zu Marilyn Monroe als Feministin plant, geraten, entweder Texte von Simone de Beauvoir oder Susan Sontag zu studieren.
Einen Tag später bei der Rückkehr nach Leer begriff ich, On Women um den und am 20. Jahrestag von Sontags Tod gekauft und zu lesen begonnen zu haben. Ich schaute mir eine kommentierte Diashow mit übersetzten Untertiteln voller lächerlicher Fehler an und hörte eine knapp fünfminütige Radiosendung zu ihrer Laufbahn an. Daraus lernte ich, Sontag konnte nicht anders als in einigen besonders folgenreichen Texten auf Wilde zu verweisen. Ja, das einzige Buch von ihr bei mir im Regal mit dem Titel Against Interpretation and Other Essays [Abbildung 2] enthält ihre “Anmerkungen zu ‘Camp’”, die sie nicht nur Wilde widmet, sondern auch mit Zitaten und Aphorismen aus den Werken des Iren anreichert.
Menschen, die schreiben statt zu zeichnen, die Worte nutzen, um zu beschreiben, was sie sehen, statt der Kamera, sind oft recht langsam beim Begreifen dessen, was sie vor langer Zeit gesehen und im Kopf behalten haben mögen. Ich bin solch eine langsame Person.
Vor kurzem schrieb ich in einem Post, der nur auf Deutsch online erschien, über einen Redewettstreit an der Universität Münster im Frühjahr 1989. Dort trafen zwei Literaturprofessoren, bekannt für ihre wechselseitige Feindschaft, im Hörsaal zum Kampf über Worte zusammen. Der eine sprach stets von Oscar Wilde und dem “Kritiker als Künstler”. Er wurde vom anderen attackiert, einem Fachmann für Shakespeare wie für das Viktorianische Zeitalter, Wilde exklusive.
Es war eine Zeit, als moderne Technologie im Hörsaal höchstens durch Dias oder den Overheadprojektor präsent war. Unser Shakespearianer jedoch füllte mit runden kindlichen Lettern die grüne Tafel mit Namen von Autoren und manchen Zitaten. Normalerweise ließ er das vor der Veranstaltung durch seine Hilfskräfte erledigen. Offenbar fürchtete er dieses Mal, jemand könne seine Absicht verraten, also hatte er selbst Hand angelegt. Ich kannte seine Handschrift gut, denn einige Jahre zuvor hatte ich ohne so genannt zu werden als sein Sekretär agiert, als seine übliche Sekretärin im Mutterschutz war. Bis vor kurzem fragte ich mich, warum er die Namen von Paul Feyerabend und Susan Sontag miteinander verbunden hatte. Natürlich verstand, warum er in der Vorlesung auf sie verwies, sich über seinen Gegner lustig machen, der nur am Feierabend oder am Sonntag zu arbeiten schien. Was ich nicht verstand bis vor sehr kurzer Zeit, war der antisemitische Subtext dieses Seitenhiebs. Der blieb vielleicht sogar dem Aggressor selbst verborgen.
Denn was teilten Feyerabend und Sontag mit Oscar Wilde außer ihrem Sinn für Humor? Gewiß Sontag teilte mit Oscar Wilde eine diverse sexuelle Orientierung und das Judesein mit Paul Feyerabend. Alle teilten, verfemt zu werden von denen, die als Mehrheit sich durch sie attackiert sahen.
Und hier muß die jeweilige Vergangenheit der beiden Professoren mitgewirkt haben bei dem Szenario, das sie nach der ersten Begegnung Mitte der 1970er Jahre zu lebenslangen Feinden machte. Beide hatten ihr Leben und eine Karriere in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Außenseiter begonnen. Der Positivismus bei Shakespeare und in Studien zur viktorianischen Zeit forderten Kunst um der Kunst willen und Wildes Ideen vom Leben als Kunst heraus. Bienenfleißig neidete der Positivist vielleicht dem anderen, was wie Muße aussah – vielleicht bis spät im Leben ohne Wissen darum, wie sorgfältig Oscar Wilde seine Liebe zu Männern hatte verbergen müssen – etwas das Menschen wie Sontag und unser Shakespearianer Mitte und Ende des 20. Jahrhundert durch ihr je verschiedenes Coming out vor sich hertragen konnten.
Unnötig zu erwähnen, unser Shakespearianer hatte, als er 20 Jahre später starb, nicht nur sein Coming out erlebt, sondern auch die Robe und den dreiteiligen Anzug des Universitätskritikers gegen das grobe T-Shirt des Regieassistenten vertauscht, während er von der Professorenpension lebte. Ironischerweise mag auch dieser große Wandel des Lebensstils ihn nicht dazu gebracht haben, die frühere Zerlegung des Kollegen im Hörsaal bedauert zu haben – denn als jener 70-jährig 1999 starb, wurde dieser Verlust auch von denen stark bedauert, die ihn als Präsidenten des Fördervereins eines Lokaltheaters erlebt hatten. Als Zuschauer dieser Ereignisse vergaß ich jedoch nicht die Schlacht der Bücher in der Universität Münster, so daß es außer Frage stand, den früheren Positivisten namentlich zu nennen, während der Mann mit seiner Liebe zu Oscar Wilde und zum Theater überhaupt einen Eintrag in einem Buch mit 88 Denkern, Schriftstellern und Theologen verdient hatte, die in Münster Westfalen gelebt, gearbeitet und wie kurz auch immer sich aufgehalten hatten.
Herbert Mainusch (1929-1999), wie sein akademischer Mentor Edgar Mertner (1907-1999) und der Swift-Gelehrte Irwin Ehrenpreis (1920-1985), der in Münster starb und auch der Namensgeber des örtlichen Instituts für Swift-Studien ist, sind alle Teil von Gelehrtes Münster und rundum [Abbildung 3], erschienen 2005 mit einem Vorwort des lokalen Musikers Götz Alsmann, der jedoch in Deutschland viel bekannter ist als jeder dieser Wissenschaftler zu Lebzeiten war. Ebenfalls im Ehrenpreis Institut für Swift-Studien fand anläßlich des Zentenars von Wildes Tod im Oktober 2000 ein kurzes Interview stand, bei dem auch die Studie Sir William Wildes, Oscars Vater, gezeigt wurde, die dieser über die letzte Krankheit von Dekan Swift verfaßt hatte, deren Erstausgabe stolzer Teil der Bibliothek des Instituts ist. Nach der Veröffentlichung einer Bildbiographie zu Wilde in jenem Jahr hatte ARTE mich um ein Interview gebeten, und ich hatte in einem Antiquariat vor Ort nachgefragt, ob man dieses ausrichten wolle. Nach der Ablehnung war das Ehrenpreis Institut meine letzte Hoffnung gewesen, dessen Direktor Hermann-Josef Real netterweise zusagte.
Da das Jubiläum auf einen Donnerstag fiel und man bei ARTE fürchtete, niemand würde die Sendung am Samstag, dem 2. Dezember, sehen, änderte man kurzfristig das Programm, so daß ich den Film nicht zu sehen bekam. Und das war noch vor der Zeit, als man begann, solche Filme auf YouTube hochzuladen. An dem Tag und am Abend hatte ich zu mit Wilde zu tun und hörte erst, als es zu spät war, davon, daß der Film bereits gelaufen war.
Zum ersten Mal in nahezu 20 Jahren in Münster hatte ich einen echten Wortwechsel mit Real gehabt und war überrascht von der Breite seines Wissens um irische Literatur abgesehen von seinem Lieblingsautor Jonathan Swift. Im Rückblick ist es keine Überraschung für mich, nach erneut vielen Jahren seinem Vorschlag folgend einen Brief an die irische Botschaft in Berlin geschrieben zu haben, um eine Ausstellung zu Oscar Wilde in deren Räumlichkeiten anzuregen. Gut Ding wollte jedoch Weile haben, und die jetzt in der Bibliothek am Ansbacher Schloß gezeigte Ausstellung traf in Berlin im September 2014 über den Umweg Wien ein, wo sie am 13. Juni, also am 149. Geburtstag von W. B. Yeats eröffnet worden war.
Ausstellung zu Oscar Wilde
Ab Freitag, 13. Juni 2014, 0:00 Uhr,
Oscar Wilde (1854-1900): A Writer Trapped by His Own Words: A Portrait of the Artist as a Man in Court
The exhibition recounts the story of how Oscar Wilde wrote his only novel The Picture of Dorian Gray in the context both of its first publication in 1890 and his trials in the spring of 1895.
Referring to the typescript for the novel and the first serial publication in Lippincott’s Monthly Magazine as well as to the writer’s literary letter and the transcript of the trial for criminal libel in April 1895, the curator of this exhibition, Dr. Jörg W. Rademacher, shows Wilde primarily as a victim of his gift of the gab.
Opening of the exhibition:
WHEN:
Friday, 13 June 2014, 16:15-18:00
WHERE:
Seminarraum SE 1 of the English Department, Hof 8.2, Campus AAKH, Spitalgasse 2, 1090 Wien
Programme:
H.E. James Brennan, The Irish Ambassador to Austria:
"Welcome and Opening of Exhibition"
Dr. Jörg W. Rademacher (Leer, Germany):
Oscar Wilde: A Portrait of the Artist as a Fallen Man
(followed by book launch)
In the chair:
Univ. Prof. Dr. Werner Huber
(Department of English and American Studies, University of Vienna
Dennoch gibt es nur von der Berliner Ausstellung Photos [Abbildung 4].
Im Dezember desselben Jahres wurde das Schaufenster einer Bäckerei in Norden, Ostfriesland, mit je einem Exemplar der englischen Ausgabe von The Picture of Dorian Gray. The Uncensored Wording of the “Lippincott’s Text” und dem ersten zweisprachigen Oscar Wilde Calendar dekoriert [Abbildung 5]. Von den anderen Ausstellungsorten: Passau 2015 sowie Dortmund und Vechta jeweils 2016 haben nur eine kurze Pressenotiz [Abbildung 6; Passau] auf Deutsch oder das Plakat überlebt [Abbildung 7; Vechta]. So ist es nur dem Engagement von Wolfgang Streit, nun in Ansbach ansässig, zu verdanken, daß die Ausstellung wieder ausgegraben wurde, und da ich kürzlich mit ihm sprach, kann ich schon jetzt versprechen, daß bald Bilder und ein Bericht zur Eröffnung hochgeladen werden können.
Wenn eines ich aus der Schlacht der Bücher an der Universität Münster gelernt habe, dann ist es, daß Feindschaft einen nur mit schlechten Gefühlen zurück läßt, während einem auf lange Sicht beim Weiterarbeiten gegenseitige Achtung und Freundschaft eher helfen als Wetteifern. Manchmal werden Dinge wahr, die man nicht einmal zu hoffen gewagt hatte, während man doch hartnäckig darauf hin gearbeitet hatte, was man jedoch nur begreift, schaut man ohne Zorn zurück.
Damit verlasse ich Sie bis zum nächsten Mal,
alles Gute,
Jörg W. Rademacher
Dezember 2024/Anfang Januar 2025